Fragen und Antworten
Die Mondschwester

1. Tiggy ist die Spirituellste der Schwestern und wird von ihnen oft liebevoll „Schneeflocke“ genannt. Wie war es für dich, ihr eine Stimme zu geben?
Ich habe mich sehr darauf gefreut, Tiggys Geschichte zu schreiben, weil ich bereits wusste, dass sie die Schwester war, die mir am meisten ähnelte. Bei allen anderen Büchern der Reihe habe ich immer erst mit den späteren Abschnitten begonnen, bevor ich die gegenwärtigen Schwestergeschichten geschrieben habe. Aber bei „Die Mondschwester“ habe ich gleich mit Tiggy angefangen. Das kam ganz natürlich. Normalerweise fällt es mir nicht leicht, mich in meine Charaktere hineinzuversetzen, aber bei Tiggy ging es praktisch gar nicht anders. Wir sind beide sehr spirituell und haben eine ähnliche Weltanschauung. Es hat Riesenspaß gemacht, ihre Geschichte zu erzählen. Sie schrieb sich fast von alleine.

2. Inwiefern ähnelt Tiggy ihrer mythologischen Vorlage Taygeta?
Ebenso wie Maia lebte Taygeta allein auf einem Berg in Sparta, der später nach ihr benannt wurde. Und ebenso wie ihre älteste Schwester wurde auch sie zum Objekt von Zeus’ Begierde. Um seiner gnadenlosen Jagd auf sie zu entkommen, wandte sie sich an Artemis, die Göttin der Jagd und der wilden Tiere. Artemis verwandelte sie in ein Reh. Doch lange währte Taygetas Tarnung nicht, denn als Zeus sie eines Tages entdeckte, erschoss er sie mit Pfeil und Bogen. In der gesamten Buchreihe sind die Geschichten der Schwestern metaphorisch an ihre mythologischen Vorlagen angelehnt. Meine Tiggy zieht es ebenso in die Abgeschiedenheit der atemberaubenden schottischen Highlands des Kinnaird Estate. Dort lernt sie Zed Eszu kennen, dessen Nachname ein Anagramm von „Zeus“ ist. Der mächtigste aller Götter hatte definitiv eine Schwäche für die sieben wunderschönen und cleveren Schwestern und ebenso wie in Maias Geschichte versucht er unablässig, Tiggy in seinen Bann zu ziehen. „Die Mondschwester“ enthält jedoch nicht nur Referenzen zu griechischer Mythologie, sondern auch zu den alten Vorstellungen der britischen Roma und der spanischen Gitanos. In beiden Kulturen hat der Mond eine besondere Bedeutung und gilt als das weibliche Pendant zur leidenschaftlichen männlichen Sonne.

3. In „Die Mondschwester“ sprichst du viele Umweltthemen an, wie das Gleichgewicht von Ökosystemen, das Abschießen von Rotwild und Veganismus. Wie wolltest du an diese Themen herantreten?
Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, wie wir unsere Umwelt als selbstverständlich betrachten, und nehme sie jetzt dadurch viel bewusster wahr. Tiggy ist Veganerin und ich habe mich zu diesem Thema auf meine Freunde verlassen, die mich zu Rezepten beraten und mir die Schwierigkeiten aufgezeigt haben, sich vor allem in abgelegenen Gebieten an Ihren Ernährungsstil zu halten. Auf dem Alladale Estate, der meine Inspiration für das Kinnaird Estate war, erzählten mir die Ranger, welche Auswirkungen großflächige Entwaldung und die moderne Welt auf die schottische Landschaft hatten, und erklärten mir, warum ein aus dem Gleichgewicht geratenes Ökosystem von uns Menschen wieder gerichtet werden muss. Wie Tiggy war auch ich anfangs vom Abschießen des Rotwilds schockiert, doch je mehr ich über die Anwesen in den Highlands und den Mangel an natürlichen Feinden erfuhr, desto besser verstand ich, warum das Eingreifen durch uns Menschen erforderlich ist. Und was die Wildkatzen angeht, die ich gesehen habe – die sind genauso griesgrämig wie Tiggy sie in ihrer Geschichte beschreibt. Die Alladale-Ranger haben mir von dem schottischen Zuchtprogramm für Wildkatzen erzählt, dem Versuch, diese seltene einheimische Art zu erhalten, doch leider sind Jungtiere in Gefangenschaft selten.

4. Tiggy und Charlie reden häufig über ihre unterschiedliche Auffassung von Spiritualität und Wissenschaft. Glaubst du, dass es Raum für beides geben kann?
Auf jeden Fall! Ich kann sowohl Charlies als auch Tiggys Standpunkt absolut nachvollziehen. Es hat mir Spaß gemacht, zu beobachten, wie die beiden sich einem Kompromiss annähern, je besser sie sich kennenlernen. Tiggy ist ausgebildete Wissenschaftlerin, doch im Laufe ihrer Reise in die Vergangenheit, öffnet sie sich immer mehr dem ihr innewohnenden Talent, zu heilen. Ich habe bereits früher über Spiritualität geschrieben, vor allem in meinem Buch „Die Mitternachtsrose“ in Verbindung mit dem Charakter Anahita, doch noch nie so eindringlich wie bei Tiggy. Es hat großen Spaß gemacht, mehr über die Magie der spanischen Zigeuner-Brujas zu erfahren.

5.Über den Charakter Zara erleben wir, welche Auswirkungen sich bekriegende Eltern und Scheidung auf Kinder haben können. Wusstest du von Anfang an, dass du dieses Thema in „Die Mondschwester“ behandeln wolltest?
Zara ist einer der komplexesten Charaktere der Geschichte. Ich interessiere mich sehr für unkonventionelle Familien und Beziehungen. Leider enden nicht alle Ehen mit einem „… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“. Kinder sind häufig die unschuldigen Opfer, die mit den Folgen der Trennung ihrer Eltern fertig werden müssen und die sich, ebenso wie Zara, häufig selbst die Schuld dafür geben.

6. Hast du dich als ausgebildete Balletttänzerin auch mal als Flamenco-Tänzerin versucht? Wie bist du an deine Recherche in Granada herangetreten?
Ich wollte in der Buchreihe über eine Tänzerin schreiben und da Tiggy als besonders anmutig beschrieben wird, schien sie mir die beste Wahl dafür zu sein. Die Zeit in Granada und die Erkundung des Sacramonte waren faszinierend. Am meisten hat mich eine Live-Flamenco-Show in einer der Höhlen beeindruckt. Die Nähe zu den Gitano-Tänzern und der Rhythmus der Musik haben mich direkt in Lucías Zeit versetzt. Ich hatte so viel Recherche über selbst die kleinsten Details des Flamencotanzens und die spanischen Begriffe betrieben, dass ich am Ende einfach aufgestanden bin und mitgetanzt habe.

7. Dein Charakter Lucía Albaycín beruht auf der berühmten Flamenco-Tänzerin Carmen Amaya. Wie kam es, dass du den Charakter fiktionalisiert hast, anstatt über Carmen selbst zu schreiben?
Carmen Amaya ist eine echte Legende. Sie ist derart legendär, dass alles, was wir über ihr Leben wissen, über Generationen hinweg mündlich überliefert, übertrieben und verdreht wurde, häufig sogar von Carmen selbst. Meine wichtigste historische Quelle für ihr Leben war die Biografie „Queen of the Gypsies“ von Paco Sevilla, der mit der Aufzeichnung ihres Lebens von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod ein großartiges Werk geschaffen hat. Doch selbst Sevilla war nicht in der Lage, grundlegende Angaben wie ihren tatsächlichen Geburtsort oder ihr Geburtsdatum festzulegen. Also habe ich entschlossen, mich von den komplizierten Mythen von Carmens Leben zu lösen, und mir den Charakter Lucía Albaycín und ihren Liebhaber Meñique ausgedacht, der grob auf dem Gitarristen Sabicas beruht, der für den Großteil von Carmens Leben ihr Lebensgefährte war. Die Geschichte des Flamenco-Cuadro, das sich im Keller eines Theaters vor der Schlacht um Madrid versteckte und später nach Lissabon floh, beruht jedoch auf einer wahren Begebenheit.

8. In „Die Perlenschwester“ hast du dich mit der Kultur der Aborigines beschäftigt und in „die Mondschwester“ geht es um die Kultur der Roma. Was treibt dich an, über ausgegrenzte Völker zu schreiben?
Die Kultur der Roma und Gitanos fasziniert mich aufgrund ihrer starken Verwurzelung mit der Erde und der Natur, aber auch aufgrund ihrer Geschichten über das Jenseits und ihre tiefen spirituellen Vorstellungen. Das ist es, was Tiggy und mich so anzieht. Auch hier gestaltete sich die Recherche schwierig, denn ein Großteil dieser Kultur wurde ebenfalls nur mündlich überliefert. Doch nach intensiven Gesprächen mit einigen Gitanos in Granada und umfassender Lektüre über britische Roma hoffe ich, dass ich ihren Geschichten und Bräuchen gerecht werden konnte. Seit Jahrhunderten steht die Kultur von Wandervölkern weltweit im Fadenkreuz der Vorurteile und die Ausgrenzung und Verfolgung, die sie ertragen mussten, ist einfach schrecklich. Ähnlich wie bei christlichen Bräuchen haben sich auch viele Roma und Sinti heute leider von ihrer spirituellen Kultur abgewandt, aber mir war es wichtig, die „gute alte Zeit“ angemessen zu repräsentieren.

9. Wie Charlie richtig feststellt, kommt Zeds Jagdverhalten gegenüber Tiggy sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gleich. Hat dich die #MeToo-Bewegung in der Hinsicht beeinflusst?
Ich stehe mit Leidenschaft hinter der #MeToo-Bewegung und ziehe meinen Hut vor dem Mut der Frauen, die sich öffentlich geäußert dazu haben. Mir war von vornherein klar, dass Zeds Verhalten Tiggy gegenüber Teil der Geschichte sein würde, da es auf den Ereignissen der griechischen Mythologie beruht. Allerdings haben seine Handlungen in einem modernen Kontext ganz andere Konsequenzen und es ist richtig, dass Charlie Tiggy in Schutz nimmt, als er erfährt, was sie durch Zed alles ertragen musste. Das Buch spielt im Jahr 2008, obwohl ich „Die Mondschwester“ erst 2017 geschrieben habe. Aber es ist unglaublich, was sich in weniger als zehn Jahren alles geändert hat. Die Medien waren voll mit Diskussionen über Einwilligung und Macht am Arbeitsplatz und das Thema war mir daher frisch im Gedächtnis.

10. In der „Sieben Schwestern“-Reihe hast du jedes Jahr ein Buch geschrieben. Hast du Pläne, danach eine Kunstpause einzulegen, um dich auf andere Projekte zu stürzen, oder bist du jetzt erst richtig in Fahrt gekommen?
Seit Anfang 2014 arbeite ich fast ununterbrochen an der „Sieben Schwestern“-Reihe und es war ein wirklich unterhaltsamer Marathon. Ihre Geschichten sind mir in Fleisch und Blut übergegangen und ich bin so dankbar für den Ansporn, den meine LeserInnen mir gegeben haben. Nach Tiggys Geschichte bin ich kurz aufgetaucht, um an einem anderen Projekt zu arbeiten. Den Sommer habe ich damit verbracht, einen alleinstehenden Roman zu schreiben, der in der wunderschönen englischen Hafenstadt Southwold spielt. „The Butterfly Room“ (deutscher Titel nicht bekannt) erscheint weltweit im Frühling 2019. Jetzt fühle ich mich erholt und bereit, mit den Geschichten der übrigen Schwestern fortzufahren.

11. Kannst du uns bereits etwas über Electra in „Die Sonnenschwester“ verraten?
Wenn wir Electra am Ende von „Die Mondschwester“ kennenlernen, werden wir der natürlichen und eher unschuldigen Welt von Tiggy in den schottischen Highlands unsanft entrissen. Unvermittelt finden wir uns in New York wieder und es wird schnell offensichtlich, dass es Electra nicht gut geht. Sie ist die Schwester, die in der Buchreihe bisher am seltensten vorkam, und ähnlich wie bei CeCe haben ihre Schwestern auch über sie eine Menge Negatives gesagt. Ich bin auf ihre Geschichte sehr gespannt, und natürlich auch darauf, ihrer Vergangenheit nachzugehen, die mich in die wunderschönen Savannen von Kenia führen wird.