ENTWURF UND BAU VON „CHRISTUS,DEM ERLÖSER“

Berg Corcovado

Mit einer Höhe von 710 Metern befindet sich der Corcovado im Carioca-Gebirge und sieht über die Stadt Rio de Janeiro hinweg. Seit dem 19. Jahrhundert ist er ein beliebtes Ziel für all jene, die die unvergleichliche Aussicht über die Stadt genießen wollen.

Die Corcovado-Bergbahn wurde 1884 mithilfe eines innovativen aus der Schweiz importierten Zahnradsystems gebaut. Die Strecke ist 3827 Meter lang und hat vier Haltestellen. Die letzte liegt nur 40 Meter unterhalb des Gipfels.

Die Corcovado-Bergbahn wurde 1884 mithilfe eines innovativen aus der Schweiz importierten Zahnradsystems gebaut. Die Strecke ist 3827 Meter lang und hat vier Haltestellen. Die letzte liegt nur 40 Meter unterhalb des Gipfels.

Christus, der Erlöser

Anfang der 1920er Jahre begann die katholische Kirche, die in Brasilien bereits seit den 1550ern effektiv das Sagen hatte, ihre Anhänger zu verlieren, die nach dem Ersten Weltkrieg dem sozialistischen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss Europas ausgesetzt waren.

Rios mächtiger katholischer Zirkel beschloss, ein religiöses Monument zu errichten, um seine Anhänger enger zusammenzubringen – und sie weiterhin in den Fängen der Kirche zu halten.

Er entschied, dass der Corcovado den idealen Ort für ein derartiges Monument bot. Für dieses prestigeträchtige Projekt wurden viele Entwürfe eingereicht, doch der Architekt und Ingenieur Heitor da Silva Costa bekam schließlich den Auftrag. Seine ursprüngliche Vision von Christus war eine stehende Figur mit einem großen Kreuz in der einen und einem Globus in der anderen Hand.

„Ein Abbild von Christus anzufertigen, ist nicht nur sehr anspruchsvoll, es ist auch eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Es in riesigem Maßstab zu errichten, ist ohne Zweifel der höchste Anspruch und die größte Verantwortung im Leben eines Künstlers.“ Heitor da Silva Costa

Im Februar 1922 erhielt Präsident Epitácio Pessoa eine Petition mit den Unterschriften von mehr als 20.000 Frauen, die den Bau einer Statue von Jesus Christus auf dem Berg Corcovado befürworteten. Zuvor wurde das Projekt von der evangelischen Kirche und anderen religiösen Gruppen verzögert, weil sie sich darüber beschwerten, dass die Statue von der katholischen Kirche in Auftrag gegeben wurde. Nachdem der Präsident die Petition gesehen hatte, informierte er jedoch alle Gruppen, dass er ihnen ebenfalls die Genehmigung erteilt hätte, wenn sie mit einer ähnlichen Idee direkt zu ihm gekommen wären. Der Bau der Statue würde also wie geplant verlaufen.

Im September 1923 fand eine Wohltätigkeitsveranstaltung mit dem Titel „Monumentwoche“ statt und in nur sieben Tagen wurden mehr als 100.000 Real eingenommen – die Hälfte dessen, was für den Bau erforderlich war.

Währenddessen leitete Heitor die Endphase seiner Pläne ein. Radioantennen auf dem Corcovado inspirierten ihn schließlich, seinen ursprünglichen Entwurf so zu ändern, dass die Christusfigur mit ausgestreckten Armen selbst ein riesiges Kreuz von 40 Metern Höhe und 40 Metern Breite darstellt.

Er wählte eine felsige Stelle genau auf der Spitze als perfekte Aussichtsplattform für seinen Christus aus.

Bau von Christus, dem Erlöser

Heitor da Silva Costa kam zu dem Schluss, dass er für die Struktur das kurz zuvor entwickelte Material Stahlbeton verwenden musste, da eine Bronzestatue viel zu schwer sein würde, um sie den Berg hinauf zu transportieren. Hinzu kam, dass ein metallener Rahmen optisch unansehnlich und nicht witterungsbeständig wäre. Er schrieb in sein Tagebuch:

„Die Leute kennen Stahlbeton nur von Ingenieursarbeiten, Säulen, Pfeilern usw. Ich habe ihn jedoch als Material für ein Kunstwerk präsentiert. Es scheint noch immer ungewöhnlich zu sein. Aber es ist ein modernes Material und das Material der Zukunft.“

Im Jahr 1924 setzte sich Heitor mit dem Großmeister der Bautechnik Albert Caquot in Europa in Verbindung, um einen Bildhauer zu finden, der in der Lage sein würde, ein mustergültiges maßstabsgetreues Modell herzustellen. Daraufhin traf er sich mit vielen Bildhauern in Paris, München, Florenz und Rom, bis er sich schließlich für den renommierten Paul Landowski in Paris entschied. Während Landowski an den Formen für die Hände und den Kopf arbeitete, finalisierte Albert Caquot die Pläne für seine Struktur aus Stahlbeton.

Die vollendeten Pläne offenbarten die Maße der Statue:
Höhe: 30 Meter
Sockel: 8 Meter
Kopf: 3,75 Meter hoch
Handlänge: 3,20 Meter mit einer Spanne von 28 Metern von Fingerspitze zu Fingerspitze.

Das Gesamtgewicht der Struktur würde sich auf 1.145 Tonnen belaufen, wovon der Kopf allein 30 Tonnen und die Arme jeweils 80 Tonnen ausmachen würde.

In einem Brief an Heitor da Silva Costa schrieb Paul Landowski:

„Dein Prozess war zweifellos ausgezeichnet. Die Mathematik wird immer die Königin der Architektur und sogar der Bildhauerei sein.“

Für Heitor war es wichtig, Landowski deutlich zu machen, dass der Kopf und die Hände als Kunstwerk – als Skulptur – betrachtet werden würden und der Körper und die Arme als architektonische Arbeiten. Er beauftragte ihn, eine vier Meter hohe Replik der Statue anzufertigen.


Dieses Foto zeigt Landowski in seinem neuen Studio auf dem Boulevard Saint Germains, wo er das Modell anfertigte.

Mit dem Bau in vollem Gange war es nun Heitors Hauptaufgabe, einen Plan für die Außengestaltung der Statue zu erarbeiten. Er wusste, dass Stahlbeton nicht die künstlerische Optik widerspiegeln würde, die diese Struktur verdiente. Die perfekte Lösung präsentierte sich ihm im Jahr 1927 durch Zufall: In einem Pariser Brunnen sah er, wie die Wände mit einem Mosaik aus kleinen dreieckigen silbernen Fliesen ausgekleidet waren. Sofort kam ihm die Idee, das Äußere der Christusstatue mit tausenden kleinen Keramik- oder Steindreiecken zu bedecken. Innerhalb von 24 Stunden ließ er in einem Keramikstudio vor Ort mehrere Muster unterschiedlicher Größen und Materialien anfertigen, darunter auch Speckstein.

Speckstein war in den Kirchen von Brasilien ein häufig eingesetztes Material, nicht nur weil es leicht erhältlich war, sondern auch weil seine Farbe nicht verblasste, weil es wetterresistent war und weil es sich mit wechselnden Temperaturen weder ausdehnte noch zusammenzog. Heitor beschloss, dass dies das perfekte Material für das von ihm vorgeschlagene Mosaik war.

Als Landowski von der Idee hörte, schrieb er Heitor:

„Ich bin vollkommen begeistert von deinem Ergebnis und kann dir zu deiner Idee nur gratulieren. Ich stimme dir zu, dass dieses Material einen edleren und höherwertigen Effekt haben wird und überdies vollkommen wetterbeständig ist.“

Die Idee wurde zurück nach Rio gebracht, wo sich die Damen der Gesellschaft regelmäßig in Kirchen trafen, um die Specksteindreiecke auf Drahtgitter zu kleben, das später mit Ausnahme des Kopfes und der Hände den gesamten Körper der Statue bedecken würde. Man sagt, dass einige Frauen die Namen von Angehörigen auf die Rückseite schrieben, ehe sie sie festklebten, um so für immer ihre Liebe zu besiegeln.

Der Bau von Christus’ Körper begann im Sommer 1926 unter der Aufsicht von Heitors Architektenkollegen Heitor Levy sowie den Ingenieuren António Ferreira Antero und Pedro Fernandes Vianna da Silva.

Die Arbeiten dauerten fünf Jahre, dennoch kam trotz der gefährlichen Bedingungen durch das Arbeiten in der Höhe niemand ums Leben.

Nach der Festwoche „Nationale Woche von Christus, dem Erlöser“ wurde die Statue am 12. Oktober 1931 eingeweiht und die Menschen kamen von überall her, um dieses Meisterwerk zu bestaunen.

Cristo Redentor oder auch Christus, der Erlöser, wie er hierzulande genannt wird, feierte 2011 seinen 80sten Geburtstag. Jedes Jahr zieht er rund zwei Millionen Besucher an und zählt heute zu den neuen modernen sieben Weltwundern.

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